Gibt es die Inquisition noch?

24. Mai 2022

Die Römische Inquisition war fester Bestandteil kirchlicher Machtausübung vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit. Mit den Inquisitionsverfahren verfolgte und bestrafte die katholische Kirche diejenigen, deren Meinung von der offiziellen Lehrmeinung abwich.

Folter und Todesstrafe wurden im Laufe der Zeit abgeschafft. Die Strafen wurden moderater. Ab dem 19. Jahrhundert besass die Römische Inquisition keine Exekutivmittel mehr und war auf die Macht des Wortes beschränkt.

Jeanne d’Arc in Ketten bei ihrer Befragung im Inquisitionsverfahren, bevor sie 1431 mit dem Tode auf dem Scheiterhaufen bestraft wurde, Gemälde von Paul Delaroche, 1824

Aber in Form der Kongregation für die Glaubenslehre, die 1965 nach dem II. Vaticanum gebildet wurde, übt sie immer noch Macht über „Andersgläubige“ aus. So wurden u.a. den Theologieprofessoren Hans Küng, Eugen Drewermann, Uta Ranke-Heinemann und Hubertus Mynarek die Missio canonica, die Lerherlaubnis entzogen. Die Donau Sieben, die sich kirchenrechtswidrig zu Priesterinnen weihen liessen, wurden 2002 vom Vatikan durch Kardinal Ratzinger exkommuniziert.

Aber nicht nur in Rom, sondern auch in deutschen Bistümern ist der Geist der Inquisition auch im 21. Jahrhundert noch lebendig. Dies führt immer wieder zu kirchlichen Repressionen, die die freie Meinungsäusserung zu unterdrücken trachten.

  • 2002 erschien zur Weihe der Donau Sieben das Buch Wir sind Priesterinnen von Werner Ertel und Gisela Forster (Hg.). Gegen das Buch erwirkte das Erzbischöfliche Ordinariat der Erzdiözese von München und Freising am 26. Juli 2002 beim Landgericht München 1 eine Einstweilige Verfügung. Sie verbat die Behauptung, „Ende Juni 2002 seien Frauen von römisch-katholischen Bischöfen zu Priesterinnen geweiht worden“. Darauf hat der Patmos Verlag den Vertrieb des Buches eingestellt und die verbleibende Auflage vernichtet.
  • 2012 erschien das Buch Unser Pfarrer ist eine Frau von Lea Ackermann und Helga Unger (Hg.) im Herder Verlag. Es wurde kurz nach seinem Erscheinen vom Verlag zurückgenommen und nicht weiter vertrieben, vermutlich infolge einer kirchlichen Intervention. Restexemplare wurden von der internationalen Frauenhilfsorganisation SOLWODI aufgekauft.
  • 2018 war der Theologe und Jesuit Ansgar Wucherpfennig für eine 3. Amtszeit als Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt wiedergewählt worden. Der Vatikan verweigerte Wucherpfennig, der sich kritisch zum Umgang der Kirche mit Frauen und Homosexuellen geäussert hatte, zunächst die Zustimmung, das nihil obstat. Aber Wucherpfennig hatte „mehr Glück als andere“ – nach massiver öffentlicher Kritik wurde die Zustimmung erteilt (s.a. Lüdecke, Der Fall Wucherpfennig).
  • 2020 schaltete das Generalvikariat des Erzbistums Köln die Homepage der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) in Köln ab. Anlass war ein Positionspapier der KHG von 2019, das u.a. die Einführung der Frauenweihe und die Anerkennung homosexueller Beziehungen befürwortete. Trotz einer online-Petition gegen die Zensur wurde das Papier nach Neustart der Homepage nicht mehr veröffentlicht, anders als auf der Homepage der Evangelische Studierenden Gemeinde Köln, die sich mit der KHG solidarisch erklärte. Aufgrund der vielfältigen Proteste – auch aus der Kirche selbst – gegen eine Kirche der Angst unterblieben aber die angedrohten arbeitsrechtlichen Schritte gegen die verantwortlichen Mitarbeiter.

Die Wirkung solcher Massnahmen ist massiv, wie folgendes Beispiel zeigt. In dem Buch „Weil Gott es so will“, das Philippa Rath 2021 herausgegeben hat, berichten 150 Frauen über ihre jeweiligen Berufungen in der Kirche. Davon werden 26 Beiträge anonym veröffentlicht. 17,3 % der Frauen (jede 6. Frau) leben in Angst vor Nachteilen für ihr Berufsleben durch die Amtskirche, wenn sie sich frei äussern – noch heute!

Gibt es die Inquisition noch?