Die katholische Kirche leidet zunehmend unter dem Priestermangel. Aber er ist noch grösser, als wir oft denken: Es gibt einen doppelten Priestermangel, einen quantitativen und einen qualitativen. Es fehlen zum einen Menschen, die die Priesterweihe überhaupt empfangen haben. Zum anderen sind diejenigen, die sie empfangen haben, vielfach eher Religionsbeamte als Priester. Diesen fehlt die wichtigste Eigenschaft, die ein Priester als Seelsorger besitzen muss, die Empathie.

Sehr deutlich wurde dies am Missbrauchsskandal und an der Reaktion auf ihn: Die fehlende Empathie bei vielen Geweihten, gerade in Führungspositionen, hat dazu geführt, das aus Tätern Wiederholungstäter werden konnten. Der Missbrauchsskandal ist die deutlichste, aber nicht die einzige Folge des unheilvollen Wirkens von Religionsbeamten in unserer Kirche. Ihr mangelt es daher doppelt an Seelsorgern und Hirten.

Loyalität und Gehorsam ist Christenpflicht (CIC can. 750), erst recht für Bischöfe. Aber was bedeutet dies genau? Ein Kritikverbot an päpstlichen Entscheidungen? Oder sogar ein Diskussionsverbot bei aktuellen Fragen der Kirchenreform?

Vielleicht kann hier Kardinal Müller eine Hilfestellung geben. In der italienischen Tageszeitung „Il Foglio“ vom 21.07.2017 sagte Müller kurz nach seinem Ausscheiden als Präfekt der Glaubenskongregation: „Für einen Kardinal ist es absolut unmöglich, gegen den Papst zu sein“. Nichtsdestoweniger hätten Bischöfe „das – ich würde sagen – göttliche Recht, frei zu diskutieren“.

Also, liebe Bischöfe in Deutschland, seid mutig und streitet für die Zukunft der Euch anvertrauten Kirche – auch wenn sich dies mit den Auffassungen Roms und der Weltkirche reiben sollte!

Erfreulich ist, dass Papst Benedikt auch nach dem Ende seines Pontifikats nicht schweigt. Er mischt sich ein. Auch wenn er dabei zum Amtsinhaber Papst Franziskus in Widerspruch gerät. Warum ist das erfreulich? Nach den Gesetzen der Logik kann etwas nicht zugleich zutreffen und nicht zutreffen. Bei Widersprüchen zwischen zwei Personen befindet sich daher eine der beiden Personen notwendig im Irrtum – welche auch immer. Das gilt auch für Päpste. Mit seinen mehrfachen Widersprüchen gegenüber Franziskus hat Benedikt somit deutlich gezeigt, dass auch ein Papst nur ein Mensch ist und sich irren kann. Und es wird deutlich, dass das, was ein Papst verkündet, nicht göttliche Botschaft ist. Denn Gott irrt nicht.

Die in der Aufklärung begonnene Debatte um die Wahrheit päpstlicher Wort wurde damit endgültig beendet, und zwar negativ: Es gibt sie nicht, die exklusive päpstliche Wahrheit. Auch die im Einzelfall beanspruchte päpstliche Unfehlbarkeit dürfte damit nicht mehr zu retten sein. Mit seinem Verhalten hat Benedikt zugleich die Autorität des päpstlichen Amtes für alle sichtbar geschwächt. Und das ist gut so. Auch der Papst muss in Zukunft überzeugen. Dekretieren allein reicht nicht mehr aus. Die synodale Zukunft der Kirche mit Debatten von Amtsträgern und Laien auf Augenhöhe wurde vom Papst selbst eingeleitet. Dies stellt einen epochalen Kulturwandel in der katholischen Kirche dar. Kirchengeschichtlich wird man zukünftig von einem Papsttum vor und von einem Papsttum nach Benedikt sprechen. Dafür müssen wir ihm dankbar sein. Ad multos annos disputationum, Papst Benedikt!