Wir trauern um Kardinal Joseph Ratzinger und Papst Benedikt XVI., der heute mit 95 Jahren gestorben ist. Er war ein brillanter Theologe, aber kein guter Papst.

In seiner Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation und als Papst hat er die Kirche nachhaltig geprägt. Aus dem Elfenbeinturm seiner Gelehrsamkeit hat er sie aber nicht in die Zukunft führen können. Dazu fehlte ihm der positive Realitätsbezug, das Annehmen einer Wirklichkeit im Wandel. Beim Umgang mit Frauen, Homosexuellen und Missbrauchten hat er die Kirche unglaubwürdig gemacht und ihr damit nachhaltig geschadet. Bei den Betroffenen hat er bis heute unglaubliches Leid ausgelöst. Gefangen im Zeitgeist seiner Jugend hat er die Kirche über 30 Jahre lang in eine Sackgasse geführt. Sein grösstes Verdienst als Papst war es, dass er seine eigene Unfähigkeit erkannte, die Kirche mit der heutigen Zeit zu versöhnen, und den Mut aufbrachte, 2013 sein Amt nieder zu legen.

Wie geht es nun weiter? Papst Franziskus hat jetzt mehr Spielraum; ihm wird es beispielsweise leichter fallen, zukünftig ebenfalls sein Amt nieder zu legen. Wenn er einst seinem Nachfolger Platz macht, könnte sich eine der beiden grössten Gefahren für unsere römisch-katholische Kirche realisieren: Ein Pontifikat von Papst Johannes Paul III. oder von Papst Benedikt der XVII. Es möge verhütet werden!

Übrigens ist die Erinnerung an Benedikt XVI. damit verbunden, dass er von „lauen Christen“ sprach. Das sind diejenigen, deren Leben nach seiner Meinung nicht vollkommen auf Christus zentriert ist. Da stellt sich die Frage, wann ist ein Christ lau? Ist es nicht eher derjenige, der Menschen diskriminiert und damit die Menschenrechte verletzt. Ist dieser nicht deswegen lau, weil er nur dem Zeitgeist folgt, anstatt die Botschaft Christi radikal umsetzen, die die Gleichheit aller Menschen (Gal 3,28) aus der göttlichen Menschenwürde ableitet? Ist nicht derjenige lau, der abweichende Meinungen rigider verfolgt als Missbrauchstäter? Ist er es nicht deswegen, weil er sich hinter Tradition und Macht versteckt, anstatt für christliche Werte zu kämpfen?

Wir verabschieden uns heute von einem wortmächtigen Gelehrten, einem schlechten Papst und einem – nach eigenem Massstab – lauen Christen.

Die zeitgleiche Umweltkonferenz COP27 in Ägypten war wirklich enttäuschend, aber nicht der 6-tägige ad limina-Besuch aller deutschen Bischöfe bis zum 18.11.2022 in Rom. Letzterer war wirklich ein grosser Erfolg. Auch wenn dies teilweise anders gesehen wird. Warum ist das so?

Ad limina-Besuch der Deutschen Bischöfe 2022 im Vatikan

1. Erstmals hat eine wichtige nationale Kirche dem Vatikan vor Ort nahezu geschlossen die Stirn geboten. Sie hat den Vatikan in offener Konfrontation zur Überprüfung – sprich Änderung – seiner Lehre u.a. beim Thema Frauenweihe aufgefordert. Anwesend waren alle über 60 deutschen Bischöfe. Nicht Laien wie Vertreter des Zentralkommittees der deutschen Katholiken oder unbotmässige Priester haben hart mit den höchsten römischen Kirchenvertretern diskutiert. Das ist ein kirchenhistorischer Meilenstein. Offen zu Tage tritt damit auch der römische Machtverlust, nachdem dort bisher dekretiert wurde, die Frauenweihe sei kein Thema, die Debatte darüber sei beendet.

2. Der Synodale Weg in Deutschland geht gegen den Willen des Vatikans weiter. Der Machtkampf mit der deutschen Kirche ging verloren, nachdem die deutschen Bischöfe die Aufforderung von Kardinal Ouellet zur Aussetzung (Moratorium) des Synodalen Weges in Deutschland vehement ablehnten. Damit besteht weiterhin die Chance, mit den Beschlüssen des Synodalen Weges in Deutschland im Frühjahr 2023 den vom Vatikan befürchteten weltkirchlichen „Flächenbrand“ zu erzeugen. Auch andere Nationalkirchen könnten sich ermutigt fühlen, die kirchliche Erneuerung durch tiefgreifende Reformen offen zu fordern. Dazu gehört insbesondere, nun auch für die Frauenweihe einzutreten. Die vatikanische Weltsynode wird dieses Anliegen dann 2023-2024 nicht mehr ignorieren können.

Also: Alles läuft nach Plan. Der Weg zum 1. weiblichen Pontifikat mit seinen 5 Etappen geht weiter. Mit der neuerlichen Zuspitzung der Debatte rückt die nächste Etappe – das Kippen der Tradition – näher. Der Widerstand gegen die römische Autorität, die bisher keinen Widerspruch und keine ungewollte Diskussion dulden musste, ist auf höchster Ebene angekommen und unabweisbar präsent. Das zeigt sich auch in der unüblichen Veröffentlichung zweier Präfekten-Reden, denen man die Klage über den Verlust von Macht und Autorität – mithin einer untergegangenen Zeit – deutlich entnehmen kann. Dies ist nicht nur ein Sieg der Meinungsfreiheit, sondern auch Hoffnungszeichen für zukünftige Geschlechtergerechtigkeit.