„Gerechtigkeit ist nicht alles, aber ohne Gerechtigkeit ist alles nichts“,

…könnte man in Abwandlung eines bekannten Politiker-Wortes sagen. Dies gilt nicht nur für den Staat, sondern erst recht auch für die Kirche. Denn die Gerechtigkeit ist das zentrale Anliegen von Gottes Heilsversprechen, und damit des Christentums. Nicht ohne Grund stellt die Gerechtigkeit das Bindeglied zwischen dem irdischen Leben und dem ewigen Leben dar – in Form des jüngsten Gerichts, das Jesus selbst abhält. 

Hans Memling: Das jüngste Gericht (um 1470), Nationalmuseum Danzig

Aus dem Eingangssatz folgt: Gerechtigkeit ist die notwendige Bedingung für ein gelingendes kirchliches Leben, die conditio sine qua non. Aber sie ist keine hinreichende Bedingung. Es muss etwas dazu kommen wie beispielsweise eine erfolgreiche (Neu-) Evangelisierung. Ohne die Gerechtigkeit als Basis kann die Evangelisierung keinen Erfolg haben. Eine Kirche ohne umfassende, also auch innere Gerechtigkeit wäre daher auf Sand gebaut. Sie würde letztlich in sich zusammenfallen. Angesichts der – zunehmend als schmerzhaft empfundenen – Frauendiskriminierung innerhalb der Kirche erfahren wir gerade die Vorboten dieses kirchlichen Zusammenbruchs.

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick in die Enzyklika Fratelli Tutti, die Papst Franziskus im Oktober 2020 veröffentlicht hat. In ihr analysiert er klar die sozialen Missstände der heutigen Welt. So schreibt er, »wenn man unsere gegenwärtigen Gesellschaften (also auch: die gegenwärtige Kirche) aufmerksam beobachtet, entdeckt man in der Tat zahlreiche Widersprüche, aufgrund derer wir uns fragen, ob die Gleichheit an Würde aller Menschen, die vor nunmehr 70 Jahren feierlich verkündet wurde, wirklich unter allen Umständen anerkannt, geachtet, geschützt und gefördert wird. Es gibt heute in der Welt (auch: in der Kirche) weiterhin zahlreiche Formen der Ungerechtigkeit, genährt von verkürzten anthropologischen Sichtweisen“ (FT Nr. 22). Und weiter: „Entsprechend sind die Gesellschaften (auch: die Kirche) auf der ganzen Erde noch lange nicht so organisiert, dass sie klar widerspiegeln, dass die Frauen genau die gleiche Würde und die gleichen Rechte haben wie die Männer“ (FT Nr. 23).

Wieso sieht der Papst klarsichtig die Defizite ausserhalb der Kirche, aber nicht ihre inneren Mängel? Wie kann man der Welt den Spiegel vorhalten, ohne selbst hinein zu sehen? Papst Franziskus scheint durch kirchliche Traditionen wie den Ausschluss der Frauen vom Priesteramt geradezu betriebsblind geworden zu sein. Sein Gesichtfeld wirkt so eingeschränkt, dass er nicht sieht, dass die Kirche selbst das tut, was sie anderen – z.B. in Fratelli Tutti – vorwirft: die Verletzung der Menschenwürde und „zahlreiche Formen der Ungerechtigkeit“.

Und damit scheint er auch nicht zu erkennen, wie sehr die ungerecht Behandelten, die Frauen, darunter leiden. Vielfach täglich, ein ganzes Leben lang. Dabei wäre jeder Einzelfall vermeidbar. Und um die Zukunft der Kirche würde es besser stehen.