Wer Wind sät, wird Sturm ernten (s. Hosea Kapitel 8, Vers 7): Die Ausführungen von Papst Franziskus zur Frauenweihe in Querida Amazonia (Nr. 100-103) vom Februar 2020 werden die Empörung gegen die innerkirchliche Gerechtigkeitslücke weiter anfachen. Seine bevormundende, diskriminierende Begründung des Frauenweiheausschlusses fordert Widerspruch heraus (s. Querida Amazonia I: Die Klerikalisierung der Frauen?). Es ist damit zu rechnen, dass noch mehr Christen mit noch mehr Aktionen gegen die fortdauernde Ungerechtigkeit in der römischen Kirche angehen werden. Denn die Katholiken wissen aus der Kirchengeschichte: Angesichts fehlender struktureller Möglichkeiten zur Partizipation führt nur anhaltender Widerspruch zu den notwendigen Reformen.

Und sie werden Franziskus ernst nehmen, der forderte: „Man muss sich empören, … so wie Jesus zürnte, so wie Gott angesichts der Ungerechtigkeit in Zorn entbrannte“ (QA Nr.15). So wird Franziskus unfreiwillig zum Verstärker von Maria 2.0 und vielen anderen Bewegungen, die für die Frauenweihe eintreten.

Der Reduktionismus gilt traditionell in der katholischen Kirche als eine schwere intellektuelle Verfehlung. Er wird immer wieder Gegnern kirchlicher Positionen vorgeworfen.

Auch Papst Franziskus erhebt im nachsynodalen Schreiben Querida Amazonia vom Februar 2020 gegenüber den Befürwortern der Frauenweihe diesen Vorwurf. Er warnt davor, das Verständnis von Kirche auf die strukturelle Frage der Priesterweihe zu reduzieren. Dies sei ein unzulässiger Reduktionismus.

Bei aller Wertschätzung für das mutige Engagement von Papst Franziskus für die notwendige Öffnung der Kirche: Bei seiner Argumentation unterlaufen ihm zwei gravierende Fehler. Zum einen ist seine Kritik unzutreffend und läuft daher ins Leere. Zum anderen tut der Papst selbst das, was er anderen vorwirft, er denkt reduktionistisch.

Die unzutreffende Kritik des Papstes

Unzutreffend ist der päpstliche Vorwurf, die Befürworter der Frauenweihe würden die Bedeutung der Kirche auf funktionale Strukturen reduzieren.

Gerade das tun sie nämlich nicht. Sie wollen die Talente und Charismen der Frauen auch im Priesteramt zur Entfaltung bringen. Wenn Frauen nicht nur ihre angestammten Rollen ausüben können, sondern zukünftig – wie Männer – auch als Priester wirken könnten, wäre dies keine „Verarmung ihres Beitrages“, wie Franziskus meint (QA Nr. 100). Es wäre – was der Papst nicht erkennt – eine Bereicherung.

Mit Frauen im Priesteramt würde sich „die Kraft und die Gabe der Frauen“ (QA Nr. 99) erst voll entfalten können. Gerade auch auf Feldern, die ihnen bisher in der katholischen Kirche verschlossen waren. Vermutlich könnte damit sogar der vom Papst selbst angeprangerte Klerikalismus der Männer wirksam vermindert werden.

Diese Sicht auf das Priesteramt ist kein Reduktionismus, sondern das Gegenteil davon. Das Priesteramt wird gerade nicht auf eine funktionale Struktur reduziert, sondern mit den – bisher fehlenden – Gaben der Frauen gefüllt.

Der Reduktionismus des Papstes

Aber die Kritik des Papstes geht nicht nur fehl, sondern fällt auch auf ihn selbst zurück. Er genügt seinen eigenen Anforderungen nicht. Er denkt selbst reduktionistisch, wie folgende Überlegungen zeigen.

Nach Auffassung Papstes sei das Priesteramt gar nicht nötig, um die Potentiale der Frauen zu nutzen. Diese könnten ihr Potential auch ausserhalb des Priestertums voll zur Geltung bringen, sogar besser (ohne „Verarmung ihres Beitrages“). Sie benötigten das Priesteramt nicht, um ihre Gaben für die Kirche nutzbar zu machen. Was verbleibt dann noch vom Priesteramt, wenn es ohne geht? Folgte man dem Papst, verbliebe nur noch ein leerer Titel, quasi ein schmückender Dienstgrad. Damit reduziert der Papst das Priesteramt auf eine leere Struktur. Und diese verweigert er den Frauen.

Die Argumentation des Papstes verdeutlicht, dass er selbst sein „Verständnis von Kirche auf funktionale Strukturen reduziert“ (QA Nr. 100). Er verengt – entgegen seinem eigenen Anspruch – seinen Blick auf diese Strukturen. Er wirft anderen das vor, was er selbst tut: reduktionistisches Denken.

Der Papst befindet sich hier natürlich in einem argumentativen Dilemma: Entweder reduziert er das Priesteramt auf eine Struktur, die der Gaben aller Gläubigen nicht bedarf. Dann denkt er reduktionistisch. Oder er gesteht zu, dass die Gaben im Priesteramt wertvoll sind. Dann diskriminiert er diejenigen, die er davon ausschliesst.

Reduktionismus ist der päpstliche Frauenausschluss auch im unmittelbaren Sinn des Wortes. Indem die Kirche Frauen von der Nachfolge Christi pauschal ausschliesst, reduziert sie von vornherein die Zahl der Talente für die apostolische Nachfolge Christi um 50%. Damit behindert die Kirche die Umsetzung von Gottes Heilsplan. Besonders schmerzlich dabei ist: Christus hat alles – nämlich sein Leben – gegeben. Die Kirche hingegen tritt beim Priestertum nur mit halbem Potential für den Glauben ein.

Papst Franziskus stellt seine Ausführungen zur Abweisung der Frauenweihe in seinem nachsynodalen Apostolischen Schreiben Querida Amazonia von 2020 unter die Überschrift „Die Kraft und die Gabe der Frauen“. Er reagierte damit auf die 2019 auf der Amazonas-Synode erhobene Forderung nach der Frauenweihe für den Diakonat, die im Abschlussdokument der Synode enthalten war.

Seine Argumente darin sind nicht überzeugend. Und sie lassen – trotz lobender Eingangsworte – Respekt und Empathie gegenüber Frauen vermissen. Schauen wir uns den Schwerpunkt seiner Ausführungen an. Papst Franziskus befürchtet, dass die Zulassung der Frauen zur Weihe „auf eine Klerikalisierung der Frauen hinlenken würde“ (QA Nr. 100). Das verblüfft. Was meint der Papst hier mit Klerikalisierung?

Zum einen könnte er damit den Wechsel vom Laien zum Kleriker durch die Weihe meinen. Das wäre eine wertneutrale Beschreibung, wonach ein Mensch, der geweiht wird, klerikalisiert wird. In Zeiten des Priestermangels ist die Klerikalisierung dann etwas Gutes, da sie den Mangel mindert. Es sei denn, man sieht – anders als der Papst – das Priesteramt als solches kritisch und fordert seine Abschaffung oder zumindest mehr Einfluss der Laien. Aber so trivial scheint Papst Franziskus das Wort nicht zu gebrauchen.

Zum anderen könnte der Papst eine Wertung beabsichtigt haben. Denn es scheint etwas negatives in der Formulierung mitzuschwingen, ein Bedauern: Das Priesteramt tut den Frauen nicht gut. Er spricht ja auch von einer „Verarmung ihres Beitrages“ als Folge ihrer Klerikalisierung. Damit würde dieser Begriff in die Nähe des eindeutig pejorativen Begriffs Klerikalismus rücken. Dies erscheint viel eher die richtige Deutung der päpstlichen Diktion zu sein.

Das Problem mit den Frauen

Aber wie kann es sein, dass die Kombination aus Frauen und Weihe die Klerikalisierung – also die Entstehung einer Art Klerikalismus – begünstigt? Und damit einen Missstand, den Franziskus selbst als grosses Übel und unter anderem als Ursache für das kirchliche Missbrauchsgeschehen ausgemacht hat?

Sucht man darauf eine Antwort, so könnte es entweder am Priesteramt liegen oder an den Frauen. Dass es am Priesteramt liegt, dürfte Franziskus nicht annehmen. Damit würde er dieses selbst als problembringend ansehen. Da ausserdem Männer gleichermassen davon betroffen wären, wenn das Priesteramt als solches nicht gut täte, würde diese Sicht einen Frauenausschluss nicht rechtfertigen. Aber wenn es nicht am Priesteramt liegt, kann es nur an den Frauen liegen.

Damit begibt sich Franziskus auf sehr dünnes Eis. Der gerade auch von Franziskus selbst kritisierte Klerikalismus in der katholischen Kirche ist schliesslich ein reines Männerprodukt. Und nun behauptet der führende Vertreter dieser Männerkirche, dass Frauen diesen Missstand begünstigen? Das ist nicht nachvollziehbar und erscheint abwegig. Das Gegenteil dürfte zutreffend sein: Frauen wirken der (negativen) Klerikalisierung entgegen. Sie sind die Lösung, nicht das Problem.

Die Lösung für die Frauen

Aber folgen wir dem Papst, der die Gefahr der Klerikalisierung der Frauen sieht. Was tut er zum Schutz gegen ihre Deformation durch das Priesteramt mit negativen Folgen für die Kirche? Will er den Frauen beistehen? Dies könnte er tun, indem er vorbeugende Massnahmen zum Schutz der Frauen vor der Klerikalisierung trifft. Oder indem er einzelne Frauen, die davon betroffen sind, individuell unterstützt. Nein, er hilft ihnen nicht, der von ihm beschworenen Gefahr zu entgehen.

Stattdessen macht er es sich leicht und verbannt alle Frauen aus der Risikozone Priesteramt. Er beschneidet pauschal ihre Freiheit und damit ihre Möglichkeit, in selbstbestimmter Form Gott zu dienen. Natürlich nur zu ihrem eigenen Schutz. Eine Bevormundung zum Selbstschutz. Selbst wohlmeinende Menschen werden darin Paternalismus erkennen, eine subtile, aber besonders entwürdigende Form sexueller Diskriminierung. Anders als Männern wird Frauen das Recht verweigert, selbst darüber zu bestimmen, wie sie Christus folgen.

Die paternalistische Diskriminierung ist beileibe kein rein kirchlicher Missstand. Wir kennen die Vorgesetzten, die immer noch Frauen mit der Bemerkung abweisen: „Ihre Verdienste sind so offenkundig und anerkannt, da brauchen Sie die neue Position nicht zur Bestätigung. Oder wollen Sie so machtbesessen werden wie die Männer?“. Aber in der Kirche schmerzt diese Diskriminierung um so mehr. Und gerade angesichts der päpstlichen Wertschätzung der Frauen (QA Nr. 99) werden viele Menschen die Worte von Franziskus als Verhöhnung empfinden. Oder als ein vergiftetes Lob.

Die katholische Kirche leidet zunehmend unter dem Priestermangel. Aber er ist noch grösser, als wir oft denken: Es gibt einen doppelten Priestermangel, einen quantitativen und einen qualitativen. Es fehlen zum einen Menschen, die die Priesterweihe überhaupt empfangen haben. Zum anderen sind diejenigen, die sie empfangen haben, vielfach eher Religionsbeamte als Priester. Diesen fehlt die wichtigste Eigenschaft, die ein Priester als Seelsorger besitzen muss, die Empathie.

Sehr deutlich wurde dies am Missbrauchsskandal und an der Reaktion auf ihn: Die fehlende Empathie bei vielen Geweihten, gerade in Führungspositionen, hat dazu geführt, das aus Tätern Wiederholungstäter werden konnten. Der Missbrauchsskandal ist die deutlichste, aber nicht die einzige Folge des unheilvollen Wirkens von Religionsbeamten in unserer Kirche. Ihr mangelt es daher doppelt an Seelsorgern und Hirten.

Loyalität und Gehorsam ist Christenpflicht (CIC can. 750), erst recht für Bischöfe. Aber was bedeutet dies genau? Ein Kritikverbot an päpstlichen Entscheidungen? Oder sogar ein Diskussionsverbot bei aktuellen Fragen der Kirchenreform?

Vielleicht kann hier Kardinal Müller eine Hilfestellung geben. In der italienischen Tageszeitung „Il Foglio“ vom 21.07.2017 sagte Müller kurz nach seinem Ausscheiden als Präfekt der Glaubenskongregation: „Für einen Kardinal ist es absolut unmöglich, gegen den Papst zu sein“. Nichtsdestoweniger hätten Bischöfe „das – ich würde sagen – göttliche Recht, frei zu diskutieren“.

Also, liebe Bischöfe in Deutschland, seid mutig und streitet für die Zukunft der Euch anvertrauten Kirche – auch wenn sich dies mit den Auffassungen Roms und der Weltkirche reiben sollte!

Erfreulich ist, dass Papst Benedikt auch nach dem Ende seines Pontifikats nicht schweigt. Er mischt sich ein. Auch wenn er dabei zum Amtsinhaber Papst Franziskus in Widerspruch gerät. Warum ist das erfreulich? Nach den Gesetzen der Logik kann etwas nicht zugleich zutreffen und nicht zutreffen. Bei Widersprüchen zwischen zwei Personen befindet sich daher eine der beiden Personen notwendig im Irrtum – welche auch immer. Das gilt auch für Päpste. Mit seinen mehrfachen Widersprüchen gegenüber Franziskus hat Benedikt somit deutlich gezeigt, dass auch ein Papst nur ein Mensch ist und sich irren kann. Und es wird deutlich, dass das, was ein Papst verkündet, nicht göttliche Botschaft ist. Denn Gott irrt nicht.

Die in der Aufklärung begonnene Debatte um die Wahrheit päpstlicher Wort wurde damit endgültig beendet, und zwar negativ: Es gibt sie nicht, die exklusive päpstliche Wahrheit. Auch die im Einzelfall beanspruchte päpstliche Unfehlbarkeit dürfte damit nicht mehr zu retten sein. Mit seinem Verhalten hat Benedikt zugleich die Autorität des päpstlichen Amtes für alle sichtbar geschwächt. Und das ist gut so. Auch der Papst muss in Zukunft überzeugen. Dekretieren allein reicht nicht mehr aus. Die synodale Zukunft der Kirche mit Debatten von Amtsträgern und Laien auf Augenhöhe wurde vom Papst selbst eingeleitet. Dies stellt einen epochalen Kulturwandel in der katholischen Kirche dar. Kirchengeschichtlich wird man zukünftig von einem Papsttum vor und von einem Papsttum nach Benedikt sprechen. Dafür müssen wir ihm dankbar sein. Ad multos annos disputationum, Papst Benedikt!