„Gottes Wort zu verkünden, hängt nicht vom Geschlecht ab“, schloss ein Priester im Oktober 2022 die Sonntagsmesse in einer grossen Kölner Pfarrkirche. In der katholischen Kirche aber doch. Nach dem geltenden Kirchenrecht dürfen Frauen weder das Evangelium verkünden, noch in der heiligen Messe (Eucharestiefeier) die Predigt (Homilie) halten. Predigtverbote gab es im übrigen schon immer. Im alten Rom waren sie Teil der Christenverfolgung. Aber heute muten sie anachronistisch an. Und behindern, ja sabotieren die Verwirklichung von Gottes Heilsplan, indem – biblisch gesprochen – Talente vergraben werden.

Frauenpredigt

Aber seit einiger Zeit ändert sich das. In vielen deutschsprachigen Bistümern sind Frauenpredigten schon heute kirchenrechtswidrige Normalität und werden auch veröffentlicht. Nun werden sie es auch im konservativen Erzbistum Köln. Hier lassen drohende persönliche Konsequenzen noch immer manchen Priester davor zurück schrecken, den Ambo einer Frau für die Predigt zu überlassen. Dies hat sich bei der Vorbereitung der Aktion „Weil wir es können! Pastoral- und Gemeindereferent:innen im Erzbistum Köln predigen“ der Berufsverbände der Gemeinde- und Pastoralreferent:innen im Erzbistum Köln gezeigt. Trotzdem haben gemäss Angabe der Verbände an den beiden letzten Oktober-Wochenenden in 50 Messen Laien im Erzbistum gepredigt, davon 39 mal Frauen (78 %). Daneben gab es etliche weitere Laienpredigten, die nicht im Rahmen der Aktion angekündigt wurden.

Maria als Priesterin

Wer den Gottesdiensten beigewohnt hat, spürte die Selbstverständlichkeit, mit der hier eine neue Tradition gewachsen ist. Die Frauenpredigt war völlig normal und hatte keine Spur eines Aufbegehrens. Die Gemeinde spendete teilweise den hinweisenden priesterlichen Worten offenen Beifall. Während der Gottesdienste fühlte man sich eher an urchristliche Zeiten erinnert, als das Gemeindeleben von Frauen ebenso wie von Männern entsprechend ihren Berufungen geprägt wurde. Und so gilt heute: Wie im Anfang, so auch jetzt und alle Zeit und in Ewigkeit. Frauen predigen. Und demnächst noch mehr…

Vor 60 Jahren wurde am 11. Oktober in Rom das 2. Vatikanische Konzil eröffnet. Es sollte die Kirche in die Gegenwart bringen und ihr damit die Zukunft sichern. Nach anfänglicher Euphorie blieb dies leider ohne Erfolg.

Eröffnung des 2. Vatikanums, Petersplatz in Rom

Frauen waren nicht zugelassen – ausser als Zuhörerinnen in der Endphase. Aber sie haben sich erstmals aktiv und öffentlich gegen ihre Diskriminierung in der katholischen Kirche mit schriftlichen Eingaben gewehrt und die Frauenweihe gefordert.

Sitzung des 2. Vatikanums, Petersdom in Rom

Eine von ihnen war die Theologin Josefa Theresia Münch. Vor der letzten Sitzungsperiode wandte sie sich im Juli 1965 an die deutschsprachigen Bischöfe, die am 2. Vatikanum teilnahmen – ein hellsichtiger Apell, der bis heute ungehört geblieben ist und keines Kommentars bedarf:

Bitte, nehmen Sie die Frauen ernst und für volle Glieder der Kirche, solange es noch Zeit ist, solange sie noch am Gottesdienst teilnehmen! Wenn die Frauen erst einmal die Konsequenz daraus gezogen haben, dass sie in der Kirche dauernd negiert werden, ist es zu spät.

Auch mit 90 Jahren setzt sich die Theologin, Autorin und katholische Priesterin Dr. Ida Raming noch aktiv gegen die Frauendiskriminierung in der katholischen Kirche ein. Am 5. September 2022 hat sie in der Karl-Rahner-Akademie in Köln über ihr ereignisreiches Leben im Kampf für die Frauenweihe berichtet.

Ida Raming (2. von rechts) am 5.9.2022 in der Karl-Rahner-Akademie Köln

Zusammen mit der Vertreterin von Maria 2.0 Rheinland, Maria Mesrian, und Dr. Magnus Striet, Professor für Fundamentaltheologie und Philosophische Anthropologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br., wurde über die Fragwürdigkeit der kirchlichen Argumente gegen die Frauenweihe ebenso diskutiert wie über ein neues Priesterbild. Die Veranstaltung war zugleich eine Hommage an das 20-jährige Priesterjubiläum der Donau Sieben.

Ida Raming erläutert ihre Priesterweihe contra legem

Ida Raming konnte dabei mit einem spannenden Bericht über ihren mutigen Akt des Ungehorsams beeindrucken, als sie sich 2002 zusammen mit 6 anderen Frauen, den Donau Sieben, kirchenrechtswidrig zu katholischen Priesterin weihen liess. Ihre Mitwirkung am 2. Vatikanischen Konzil in den 60er Jahren als junge Theologiestudentin durch schriftliche Eingaben und Gespräche u.a. mit Josef Ratzinger als Theologieprofessor in Münster bezeugten ihr lebenslanges Engagement für Gerechtigkeit in der katholischen Kirche.

Heute vor 20 Jahren wurden 7 Frauen auf der Donau zu römisch-katholischen Priesterinnen geweiht. Als „Donau Sieben“ wurden sie damals weltberühmt. Der Vatikan hat ihre kirchenrechtswidrige Weihe nicht anerkannt und sie exkommuniziert.

Seitdem wurden weitere Frauen zu römisch-katholischen Priesterinnen geweiht, nach 20 Jahren etwa 300 weltweit. Etwa 20 dieser Priesterinnen wurden zu Bischöfinnen geweiht. Sie haben sich weltweit in der Organisation Roman Catholic Women Priests (RCWP) zusammengeschlossen.

Sie alle folgen dem Leitspruch der Bibel „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apostelgeschichte 5, 29), der auch das Grab des Kardinals von Galen in Münster ziert.

Mittlerweile gibt es viele ermutigende Zeichen, dass sich die Zeit der Diskriminierung der Frauen in unserer Kirche durch ihren Ausschluss vom Priesteramt dem Ende zuneigt. Der Synodale Weg in Deutschland, der die gesamte Breite des Kirchenvolkes repräsentiert, sendet dazu eindeutige Signale. Gleiches gilt für das weltweite Interesse an seinen Ergebnissen, das vom Vatikan weitgehend ignoriert wird. Dies zeigt u.a. die grosse Nachfrage nach seinen Dokumenten, die auch in englisch vorliegen, z.T. in italienisch und spanisch.

Vielleicht stimmt es wirklich, dass Papst Franziskus mit dem Einberufen der Weltsynode die „Reset-Taste“ gedrückt hat, wie dies die Kirchenrechtlerin und Beraterin des weltweiten synodalen Prozesses, Myriam Wijlens, sieht.

Wie auch immer, wir danken den Pionierinnen des Frauenpriestertums für ihren grossen Mut vor 20 Jahren und wünschen ihnen noch viele gute Jahre – in vatikanischer Sprache: ad multos annos!

Die Römische Inquisition war fester Bestandteil kirchlicher Machtausübung vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit. Mit den Inquisitionsverfahren verfolgte und bestrafte die katholische Kirche diejenigen, deren Meinung von der offiziellen Lehrmeinung abwich.

Folter und Todesstrafe wurden im Laufe der Zeit abgeschafft. Die Strafen wurden moderater. Ab dem 19. Jahrhundert besass die Römische Inquisition keine Exekutivmittel mehr und war auf die Macht des Wortes beschränkt.

Jeanne d’Arc in Ketten bei ihrer Befragung im Inquisitionsverfahren, bevor sie 1431 mit dem Tode auf dem Scheiterhaufen bestraft wurde, Gemälde von Paul Delaroche, 1824

Aber in Form der Kongregation für die Glaubenslehre, die 1965 nach dem II. Vaticanum gebildet wurde, übt sie immer noch Macht über „Andersgläubige“ aus. So wurden u.a. den Theologieprofessoren Hans Küng, Eugen Drewermann, Uta Ranke-Heinemann und Hubertus Mynarek die Missio canonica, die Lerherlaubnis entzogen. Die Donau Sieben, die sich kirchenrechtswidrig zu Priesterinnen weihen liessen, wurden 2002 vom Vatikan durch Kardinal Ratzinger exkommuniziert.

Aber nicht nur in Rom, sondern auch in deutschen Bistümern ist der Geist der Inquisition auch im 21. Jahrhundert noch lebendig. Dies führt immer wieder zu kirchlichen Repressionen, die die freie Meinungsäusserung zu unterdrücken trachten.

  • 2002 erschien zur Weihe der Donau Sieben das Buch Wir sind Priesterinnen von Werner Ertel und Gisela Forster (Hg.). Gegen das Buch erwirkte das Erzbischöfliche Ordinariat der Erzdiözese von München und Freising am 26. Juli 2002 beim Landgericht München 1 eine Einstweilige Verfügung. Sie verbat die Behauptung, „Ende Juni 2002 seien Frauen von römisch-katholischen Bischöfen zu Priesterinnen geweiht worden“. Darauf hat der Patmos Verlag den Vertrieb des Buches eingestellt und die verbleibende Auflage vernichtet.
  • 2012 erschien das Buch Unser Pfarrer ist eine Frau von Lea Ackermann und Helga Unger (Hg.) im Herder Verlag. Es wurde kurz nach seinem Erscheinen vom Verlag zurückgenommen und nicht weiter vertrieben, vermutlich infolge einer kirchlichen Intervention. Restexemplare wurden von der internationalen Frauenhilfsorganisation SOLWODI aufgekauft.
  • 2018 war der Theologe und Jesuit Ansgar Wucherpfennig für eine 3. Amtszeit als Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt wiedergewählt worden. Der Vatikan verweigerte Wucherpfennig, der sich kritisch zum Umgang der Kirche mit Frauen und Homosexuellen geäussert hatte, zunächst die Zustimmung, das nihil obstat. Aber Wucherpfennig hatte „mehr Glück als andere“ – nach massiver öffentlicher Kritik wurde die Zustimmung erteilt.
  • 2020 schaltete das Generalvikariat des Erzbistums Köln die Homepage der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) in Köln ab. Anlass war ein Positionspapier der KHG von 2019, das u.a. die Einführung der Frauenweihe und die Anerkennung homosexueller Beziehungen befürwortete. Trotz einer online-Petition gegen die Zensur wurde das Papier nach Neustart der Homepage nicht mehr veröffentlicht, anders als auf der Homepage der Evangelische Studierenden Gemeinde Köln, die sich mit der KHG solidarisch erklärte. Aufgrund der vielfältigen Proteste – auch aus der Kirche selbst – gegen eine Kirche der Angst unterblieben aber die angedrohten arbeitsrechtlichen Schritte gegen die verantwortlichen Mitarbeiter.

Die Wirkung solcher Massnahmen ist massiv, wie folgendes Beispiel zeigt. In dem Buch „Weil Gott es so will“, das Philippa Rath 2021 herausgegeben hat, berichten 150 Frauen über ihre jeweiligen Berufungen in der Kirche. Davon werden 26 Beiträge anonym veröffentlicht. 17,3 % der Frauen (jede 6. Frau) leben in Angst vor Nachteilen für ihr Berufsleben durch die Amtskirche, wenn sie sich frei äussern – noch heute!

Gibt es die Inquisition noch?

Prüfstein für Synodalität:
Frauenweihe auf der Weltsynode in Rom offen thematisieren!

Sehr geehrter Heiliger Vater,

die römisch-katholische Kirche steht vor grossen Herausforderungen und Problemen. Die Welt ist im Umbruch und unsere Kirche muss sich – ohne ihren Glaubenskern zu verlieren – dieser Entwicklung stellen.

Dies führt schon seit einigen Jahren zu heftigen Kontroversen in der Kirche. In einigen Nationalkirchen wie in der Weltkirche haben diese Kontroversen Wunden geschlagen. Um die Wunden zu heilen, gibt es nur eine Lösung: Praktizierte Communio im lebendigen und offenen Dialog. Die Weltsynode schafft dafür mit der Weltbischofskonferenz 2023 zu Recht Platz.

Heilung gelingt aber nur, wenn die Weltsynode auch eines der besonders kontroversen Themen explizit aufgreift, das Priestertum der Frauen.

Wie Sie, Heiliger Vater, bin ich der Auffassung, „dass wir nicht nur in einer Zeit der Veränderungen leben, sondern vielmehr in einer Zeitenwende, die neue und alte Fragen aufwirft, angesichts derer eine Auseinandersetzung berechtigt und notwendig ist“ (Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland, 29.6.2019).

Mit diesem Vorschlag für die Weltsynode möchte ich Ihnen auf einem Weg folgen, der uns „zur Suche nach einer freimütigen Antwort auf die gegenwärtige Situation ermuntert“ (ebenda).

Erlauben Sie mir zur Begründung meines Vorschlages folgende Bemerkungen.

1. Das Frauenpriestertum – ein aktuelles katholisches Thema

Beginnend mit dem II. Vaticanum ist das Frauenpriestertum in der römisch-katholischen Kirche ein kontroverses Thema. Mit der ersten öffentlichen Frauenweihe der „Donau Sieben“, die 2002 kirchenrechtswidrig erfolgte, begann eine Entwicklung, aus der bis heute etwa 300 Frauenpriesterinnen contra legem hervorgegangen sind. Aktivitäten (Gemeindeleitung u.a. in Amazonien) und Zeugnisse (s. Philippa Rath, „Weil Gott es so will„) vieler Frauen bekunden ihre Berufung zum Priesteramt.

Flankiert wird diese Entwicklung von einer Vielzahl von Organisationen, die sich für die Frauenweihe einsetzen. Maria 2.0 und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken sind nur die öffentlichkeitswirksame Spitze dieses Eisberges in Deutschland. Weltweit gibt es viele ähnliche Initiativen, die über das Thema debattieren – auch wenn sie häufig weniger hörbar sind als in Europa und in den USA.

Auch Bischöfe erachten dieses Thema für relevant. Als einer von vielen befand 2020 der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Gerd Bätzing, dass er selbst als Teil einer Gesellschaft, in der die Gleichberechtigung dSynodalität in Aktion: „Frei und offen sprechen“er Geschlechter ein fundamentales Recht darstellt, zur innerkirchlichen Debatte: „Für mich ist die Frage nicht abgeschlossen, sondern sie ist als eine offene Frage da in der Kirche und muss als solche auch behandelt werden“.

2. Ordinatio sacerdotalis: kein Grund zum Schweigen

Als Papst Johannes Paul II. 1994 in seinem Apostolischen Schreiben Ordinatio sacerdotalis mit Nachdruck die Frauenweihe verwarf, erklärte er abschliessend, „dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben“ (OS Nr. 4).

„Endgültig“ heisst selbstredend nur solange, bis die lehramtliche Auffassung sich ändert, was bekanntermassen immer wieder erfolgt. Solche Änderungen der Lehre sind nicht nur real, sondern auch wichtig, da sie die Zeichen der Zeit in die kirchliche Lehre und in einen lebendigen Glauben transformieren. Auch die derzeitige Lehre ist Ergebnis solcher Änderungen.

Vorher ist es für jeden Christen nicht nur erlaubt, sondern auch erwünscht, an diesen Änderungen mitzuwirken. Das kann durch eigene Reflexion, aber auch durch öffentliche Diskussion geschehen. Wer loyal auf eine Änderung der Lehre hinwirkt, beachtet die kirchliche Lehre und handelt ihr nicht zuwider. Wer offen über das Frauenpriestertum redet oder es für gut heisst, spricht nicht de doctrina lata, sondern de doctrina ferenda, nicht über die derzeitige Lehre, sondern über die zukünftige. Damit hält er sich an die päpstliche Entscheidung.

3. „Im Hören auf die Heilige Schrift“

Päpste kommen und gehen. Nur die Bibel bleibt. Was aber sagt die Bibel zur Frauenweihe? Die Auffassungen dazu sind kontrovers. Aber die Bibel ist nicht so ablehnend, wie die Kirche es erscheinen lässt.

Die höchste Autorität der Bibelauslegung, die päpstliche Bibelkommission befand 1976: Das Neue Testament fälle keine Entscheidung über die Ordination von Frauen zum Priestertum und folglich könne kein Verbot von Priesterinnen aus neutestamentlichen Aussagen herausgelesen werden; auch werde der Heilsplan Christi durch die Zulassung der Frauenordination nicht überschritten oder verfälscht.

Zu Recht thematisiert das vatikanische Vorbereitungsdokument für die Weltsynode „Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung“ das „Hören auf die Heilige Schrift“ (Kapitel III) als zentrales Element einer synodalen Kirche. Es fordert das „gemeinsame Hören auf den Geist“ und verweist dabei auf Jesus:

„In einer Weise, welche die Zeugen überrascht …, nimmt Jesus all diejenigen als Gesprächspartner an, die aus der Menge heraustreten: er hört sich die leidenschaftlichen Einwände der kanaanäischen Frau an (Mt 15,21-28), die es nicht akzeptieren kann, dass sie vom Segen, den Er bringt, ausgeschlossen wird“ (Vorbereitungsdokument S. 13).

4. Synodalität in Aktion: „Frei und offen sprechen“

Eine synodale Kirche „geht gemeinsam“ und lädt demzufolge alle dazu ein, „mit Mut und Freimut zu sprechen“ (Vorbereitungsdokument S. 20). Das ist heute in der römisch-katholischen Kirche nicht selbstverständlich. Vielerorts ist es nicht möglich, weil die Freiheit dazu innerkirchlich aktiv unterdrückt wird.

In Deutschland und in benachbarten Ländern ist die freie Meinungsäusserung in jüngerer Zeit viel leichter geworden. Wer heute beispielsweise die Debatte über die Frauenweihe normativ für beendet erklärt, gehört innerkirchlich zu einer Minderheit. Wer sie zu unterbinden versucht, trifft auf wirkmächtige innerkirchliche, gesellschaftliche und rechtliche Widerstände. Er wird – auch als Hirte – kaum noch ernst genommen, weil er mit der Verweigerung der Debatte christliche Werte diskreditiert (vgl. Pacem in terris Nr. 7) und damit den Niedergang der Kirche beschleunigt.

In vielen Ländern vor allem ausserhalb Europas ist dies anders. Wer dort offen über das Frauenpriestertum spricht, ja es zukünftig für erstrebenswert hält, muss Sanktionen wie den Entzug der Missio oder sonstige arbeits- und dienstrechliche Einschränkungen fürchten. Solche innerkirchlichen Sanktionen von freien Meinungsäusserungen über die zukünftige Lehre der Kirche sind absolut inakzeptabel. Sie müssen unbedingt aufhören.

Die Weltsynode sollte mit einem guten Beispiel voran gehen, indem sie eine Debatte zum Frauenpriestertum offen führt. Damit würde die Kirche aktiv christliche Werte verteidigen, die in vielen Ländern unverändert von einigen Bischöfen grob missachtet werden.

5. Vorschlag für die Weltsynode
  • In tiefer Sorge um die Glaubwürdigkeit und die Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland und
  • in weltkirchlicher Mitverantwortung für die Heilung der durch stetige Kontroversen entstandenen und entstehenden Wunden,

bitte ich Sie, eine eingehende Debatte über das Frauenpriestertum in der römisch-katholischen Kirche auf der Bischofskonferenz der Weltsynode 2023 zu ermöglichen und offiziell vorzusehen, die

  • offen ist für jeden – für Laien und Kleriker -,
  • offen ist für alle Inhalte und
  • offen ist für alle Ergebnisse.

Die Zeit ist reif. Eine Weltsynode, die sich heute nicht für eine Debatte über das Thema Frauenpriestertum in unserer Kirche öffnet, hätte ihren eigenen Anspruch verfehlt.

Ich wünsche unserer Kirche den Mut, die Zeichen der Zeit zu erkennen und gemeinschaftlich in den heilenden Austausch zu gehen – also wirklich syn-odal zu sein.

Hochachtungsvoll in Christus verbunden

Stephan Rohn

Papst Benedikt XVI., vormals Joseph Kardinal Ratzinger, ist zu Recht ein geachteter und geehrter Mann. Aber auch ein Mensch mit Fehlern.

Ein am 20.1.2022 vorgestelltes Gutachten wirft ihm schwere Fehler im Umgang mit dem Missbrauchsgeschehen in seiner Zeit als Erzbischof von München in den 80er Jahren vor. Und es überführt ihn, der mit 94 Jahren am Ende seines langen und bewegten Lebens steht, in dieser Angelegenheit der Lüge. Denn er behauptete 2021 schriftlich, an einer entscheidenden Sitzung nicht teilgenommen und somit nichts gewusst zu haben. Aber er war nachweislich anwesend.

Speyerer Dom, Edith-Stein-Gedenkstätte in der Taufkapelle/Doppelkapelle unten

Seine Anhänger werfen den Kritikern des emeritierten Papstes eine Kampagne, gezielte Schädigung, in sozialen Netzwerken sogar Verrat vor. Insbesondere in Deutschlands konservativen Kirchenkreisen ist die Empörung über die Kritiker gross, da es ja „unser“ Papst ist, der angegriffen wird.

Wer so denkt und so spricht, dem sei ein Wort der heiligen Edith Stein vorgehalten, die vom Judentum zum Christentum konvertierte, Dominikanerin und Wissenschaftlerin wurde und von den Nationalsozialisten als Jüdin in Auschwitz ermordet wurde. Sie gilt als Brückenbauerin zwischen den Konfessionen:

Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht.

Und so ist die Antwort auf diejenigen, die die Kritiker verurteilen, eine einfache Frage: Sucht Ihr Gott?

„Die heilige Weihe empfängt gültig nur ein getaufter Mann“ bestimmt canon 1024 des Codex Iuris Canonici (CIC) der römisch-katholischen Kirche. Trotz dieses kirchenrechtlichen Verbotes wurden 7 Frauen aus Österreich und Deutschland am 29.6.2002 erstmals öffentlich zu römisch-katholischen Priesterinnen geweiht, nach ihrer ordnungsgemässen Diakonweihe. Die Weihe dieser sog. Donau Sieben hat weitere Frauen ermutigt.

Aus einer aktuellen Erhebung der Organisation Roman Catholic Women Priests (RCWP) vom 15.8.2021 ergibt sich derzeit eine Zahl von 282 römisch-katholischen Priesterinnen weltweit. Dies schliesst 18 Bischöfinnen mit ein, die weitere Frauen zu Priesterinnen weihen können und dies auch tun. Dazu kommen noch die Diakoninnen und die Kandidatinnen in der Priesterausbildung.

Römisch-katholische Priesterinnen in den USA

Die in den USA beheimatete RCWP ist mit ihrer deutschen Sektion die führende globale Organisation, in der römisch-katholische Priesterinnen organisiert sind. Darüber hinaus gibt es weitere Priesterinnen unbekannter Zahl, die nicht organisiert sind oder sich aus Angst vor Sanktionen nicht als geweihte Priesterinnen zu erkennen geben.

Der Länderschwerpunkt römisch-katholischer Priesterinnen liegt in den USA mit etwa 140 Priesterinnen. In Deutschland gibt es derzeit 2 Bischöfinnen, 1 Priesterin und 1 Diakonin (weitere Informationen und Dokumente unter: Virtuelle Dioezese).

Wirksamkeit der Weihe

Die römische Kurie betrachtet die Weihe von Priesterinnen als „Vortäuschung“ und damit als nicht wirksam. Für ihre Gültigkeit fehle an der Voraussetzung des richtigen Geschlechts. Aber so einfach ist es nicht.

Die Weihe wird durch das Weihegebet und die Handauflegung des Bischofs, der in der apostolischen Nachfolge Christi steht, gespendet. Sie ist unwiderruflich. Sie verleiht dem Geweihten den „character indelebilis“, ein untilgbares Prägemal. Dieses unauslöschliche Mal verbindet den Geweihten ein Leben lang mit Gott.

Priesterinnenweihe durch römisch-katholische Bischöfinnen 2006 in den USA

Aus der Bibel ergibt sich keine Geschlechterbeschränkung für das Priesteramt, wie die päpstliche Bibelkommission 1976 festgestellt hat. Vielmehr enthält Gal. 3, 26-29 eine eindeutig antidiskriminierende Wertung. Diese macht sich auch das Kirchenrecht zu eigen, wonach „unter allen Gläubigen eine wahre Gleichheit in ihrer Würde und Tätigkeit besteht“ (can. 208 CIC).

Auch das sakramentale Grundverständnis des CIC spricht für die Frauenweihe. Denn die Taufe eröffnet allen Christen gleichermassen die Sakramente, auch das Sakrament der Weihe: „Die Taufe ist die Eingangspforte zu den Sakramenten“(can. 849).

Daher erachten auch Theologen die Weihe von Frauen als gültig. Sie sei lediglich gesetzeswidrig, aber nicht unwirksam. Das kanonische Recht bezeichnet dies als „valide, sed illicite„.

Römische Sanktionen

Die Donau Sieben wurden, nachdem sie abgelehnt hatten, ihr Tun zu bereuen, von der römischen Glaubenskongregation unter der Leitung von Kardinal Ratzinger am 5.8.2002 exkommuniziert.

Gleiches geschah mit den weiteren Priesterinnen, soweit ihre Weihe und ihre Identität bekannt wurden. Das Exkommunikationsverfahren fand jeweils ohne persönliche Anhörung und ohne Rechtsbeistand statt und wird daher zu Recht kritisiert.

Um auch diejenigen exkommunizieren zu können, die unerkannt weihten oder geweiht wurden, wurde das Kirchenrecht 2008 per Dekret angepasst. Dadurch tritt die Exkommunikation seitdem automatisch mit dem „Vortäuschen“ der Weihe ein (sog. Tatexkommunikation). Mit der Reform des Kirchenstrafrechts vom 8.12.2021 wurde dies im neuen canon 1379 § 3 CIC auch gesetzlich geregelt.

Die Exkommunikation trifft sowohl die Weihenden als auch die Geweihten. Mit Nelson Mandela kann man feststellen: „It is an unjust punishment for breaking an unjust law“ (es ist eine ungerechte Strafe für das Brechen eines ungerechten Gesetztes).

Übrigens zahlen die exkommunizierten Priesterinnen in Deutschland und Österreich weiterhin Kirchensteuer an ihr Bistum.

Erosion des Frauenweiheverbots

Aber das vatikanische Frauenweiheverbot scheint mittlerweile zu erodieren. Dies zeigt nicht nur die schiere Zahl der contra legem geweihten Priesterinnen, sondern auch das Verhalten der Kirche.

So wurde in Süddeutschland eine zur Diakonin geweihte Frau nicht exkommuniziert und darf weiter als katholische Religionslehrerin unterrichten. Offensichtlich werden Diakoninnen derzeit geduldet. Vermutlich ist dies eine Folge der Differenzierung im Apostolischen Schreiben Ordinatio Sacerdotalis von 1994, das nur das Priesteramt betrifft, und der aktuellen vatikanischen Befassung mit dem Frauendiakonat in einer päpstlichen Kommission.

Ohne Sanktionen blieb auch der öffentliche Auftritt einer Bischöfin auf dem Internationalen Eucharistischen Kongress in Budapest 2021, an dem auch der Papst teilnahm, den diese Bilder zeigen.

Auch im täglichen Gemeindeleben ergeben sich für die Priesterinnen keine nennenswerten Änderungen in Folge ihrer kirchenrechtswidrigen Weihe. In ihren Pfarreien sind sie – trotz ihrer Exkommunikation – akzeptiert und empfangen die Sakramente. Insbesondere wird ihnen von männlichen Priester-Kollegen nicht die Kommunion verweigert. Und sie erhalten im Falle ihres Todes ein würdiges Begräbnis unter Beteiligung eines katholischen Priesters.

Einschränkungen…

Einschränkungen unterliegen die Priesterinnen in Deutschland und Österreich jedoch bei ihrer eigenen priesterlichen Tätigkeit. Sakramente, insbesondere in der Feier der heiligen Messe (Eucharistie), können sie nur eingeschränkt spenden. Gottesdienste scheitern daran, dass ihnen häufig keine Kirche und kein Altar zu Verfügung stehen. Befreundete christliche Religionsgemeinschaften stellen allerdings immer wieder Kirchen bereit, damit römisch-katholische Priesterinnen öffentlich die heilige Messe zelebrieren können.

Eine Besonderheit gilt für diejenigen Gottesdienste, in denen die Weihe der Frauen durch einen Bischof oder eine Bischöfin erfolgt. Sie werden – teilweise auch zum Schutz des weihenden Bischofs – im Verborgenen und im kleinen Kreis abgehalten. Diese Weihen werden daher auch als Katakombenweihen bezeichnet.

Prohibitiv wirkt sich darüber hinaus das Finanzierungssystem in den deutschsprachigen Kirchen aus, wonach die Kirchensteuer den Bistümern zufliesst. Die hiesige Kirchenfinanzierung verleiht den Bischöfen ein starkes Druckmittel, da sie Arbeitgeber von Pastoralreferentinnen oder anderen kirchlichen Mitarbeiterinnen sind. Diese dürften ihre Anstellung verlieren, Religionslehrerinnen ihre Lehrbefugnis (missio), wenn ihre Weihe zu Priesterin bekannt wird. Dies schreckt immer wieder Frauen ab, ihrer Berufung zu folgen.

Das Wirken von Priesterinnen ist somit in der Öffentlichkeit bisher nur eingeschränkt sichtbar.

… und Lichtblicke

Besser ist die Situation in den USA, wo römisch-katholische Priesterinnen seit 20 Jahren auch Pfarreien leiten. Als Pfarrerinnen sind sie dort fester und zentraler Bestandteil des Gemeindelebens. Sie werden – gerade auch aufgrund ihres Geschlechts – als Bereicherung empfunden.

Die günstige Situation in den USA resultiert aus der ökonomischen Unabhängigkeit der Priesterinnen dort, die direkt von ihren Gemeinden finanziert werden. Auch in deutschsprachigen Ländern fehlt es nicht an Berufungen, wie das Buch „Weil Gott es so will“ von Philippa Rath zeigt. Mehr und mehr bekennen sich Frauen zu ihren Berufungen, selbst wenn sie sich angesichts drohender kirchlicher Sanktionen nicht zur Diakonin und insbesondere nicht zur Priesterin weihen lassen.

Hinter den Kulissen tut sich aber auch in Europa einiges, um das Frauenpriestertum in der römisch-katholischen Kirche weiter zu fördern. So wurde 2021 eine Personalprälatur für die katholischen Priesterinnen unter Leitung der Bischöfin Christine Mayr-Lumetzberger errichtet.

Und mittlerweile gibt es eine römisch-katholische Gemeinde in Wien, in der Priesterinnen im Seelsorgeteam mitwirken. Zur Freude der Gläubigen stehen sie regelmässig mit einem Priester hinter dem Altar, um zusammen die heilige Messe zelebrieren.

Wie geht es weiter?

Viele Wege führen nach Rom. Die seit 20 Jahren übliche Praxis der Frauenweihe contra legem ist einer davon, vielleicht sogar einer der wichtigsten. Der praktizierte Ungehorsam gegenüber dem Vatikan – nicht gegenüber Gott – sorgt dafür, dass Priesterinnen auch in der römisch-katholischen Kirche mittlerweile zur Selbstverständlichkeit gehören. Die Realität ist entscheidend, nicht die Legalität. Denn Argumente werden im Vatikan ausgesessen.

Ausserdem gilt: „Eine dem geltenden kanonischen Recht widersprechende Gewohnheit erlangt dann die Kraft eines Gesetzes, wenn sie rechtmäßig (also gemäss göttlichem Recht) 30 ununterbrochene und volle Jahre hindurch geübt wurde“ (can. 26 CIC). Vielleicht ist die Frauenweihe also auch ohne ausdrückliche Korrektur des canon 1024 CIC ab 2032 legal?

Eine offizielle, also formale Legalisierung der Frauenweihe wäre natürlich besser. Vielleicht erfolgt sie wie bei den Messdienerinnen aufgrund des Drucks der Realität – infolge anhaltenden Ungehorsams. Die causa Messdienerinnen war schliesslich ein erfolgreiches Beispiel für das Erringen von mehr Gleichberechtigung in der Kirche.

Natürlich ist die Legalisierung der Frauenweihe deutlich anspruchsvoller, insbesondere nach der Basta-Theologie von Ordinatio sacerdotalis. Aber selbst die Kirche wächst mit ihren Herausforderungen…

Recht ist nicht gleichbedeutend mit Gerechtigkeit. Das alte ethische Problem des Verhältnisses zwischen Recht und Gerechtigkeit beschäftigte schon Cicero, der im 1. JH vor Christi Geburt befand: Summum ius summa iniuria, das gesamte Recht ist oft das höchste Unrecht. Gerade in Deutschland haben wir das in der jüngeren Geschichte mit dem Nationalsozialismus sehr schmerzhaft erfahren.

Was für das staatliche Recht gilt, gilt natürlich auch für das Kirchenrecht. Heute stellen viele Katholiken zunehmend Fragen nach der Gerechtigkeit des Kirchenrechts. Im Vordergrund steht die kirchenrechtliche Ungleichbehandlung der Frauen insbesondere durch Versagung der Priesterweihe, welche sie als Spenderinnen der Sakramente ausschliesst, oder durch das Verbot, während der Eucharistiefeier zu predigen, die Homilie zu halten.

Aber auch weitere Verbote wie die Untersagung der Segnung homosexueller Paare, der Kommunionspende an Wiederverheiratete oder nichtkatholische Christen sorgen für Zweifel an den kirchenrechtlichen Normen. Homosexuelle Partnerschaft, Verhütung, Abtreibung und Zölibat sind zusätzliche Reizthemen. So reiben sich viele Seelsorger und Lehrverantwortliche (im Kommunion- und Religionsunterricht, in der Predigt, in der Lehre an Hochschulen etc.) täglich an den Vorgaben des kirchlichen Lehramts auf.

Gerechtigkeit. Fresko von Raffael im Vatikan, 1508

Für Katholiken stellt sich daher immer häufiger und drängender die Frage: 1. Bindet mich das Kirchenrecht oder darf bzw. soll ich mich über Kirchenrecht hinwegsetzen, das ich für ungerecht erachte? 2. Anhand welcher Kriterien kann ich ermitteln, ob ich ein solches Kirchenrecht missachten darf?

1. Darf ich mich über Kirchenrecht hinweg setzen, das ich für ungerecht erachte?

Die moralphilosophischen und -theologischen Antworten auf die Frage verweisen auf das menschliche Gewissen als Entscheidungsinstanz. Mit der Anerkennung seiner Autonomie, die als Gewissensfreiheit bezeichnet wird, hat sich die katholische Kirche in ihrer autoritären Tradition lange schwergetan. Trotz der Befürwortung schon durch Thomas von Aquin hat sich erst das II. Vatikanum 1965 dazu durchgerungen, die Gewissensfreiheit grundsätzlich zu akzeptieren (Gaudium et spes Nr. 16).

Der Katechismus der katholischen Kirche von 1993 hat diese Lehre umgesetzt. Er betont, dass das Gewissen lebenslang anhand des Wortes Gottes gebildet und geformt werden muss, damit ein richtiges Urteil abgegeben werden kann (Nr. 1783-1785). Das Gewissen kann richtig urteilen, wenn es in Übereinstimmung mit der Vernunft und dem göttlichen Gesetz ist, oder irren, falls es sich an beides nicht hält (Nr. 1786). Der Mensch muss auch einem irrigen Gewissen folgen, wenn er sich um die rechte Gewissensbildung bemüht hat (Katechismus Nr. 1793).

Der entscheidende moraltheologische Meilenstein ist die Anerkennung des Irrtums. Damit wird ein Handeln im Dissens zur Obrigkeit nicht als unmoralisch verworfen, was natürlich Sanktionen wegen seiner Rechtswidrigkeit nicht ausschliesst. Der Irrtum kann allerdings auf zwei Seiten auftreten: Auf der Seite des Normadressaten, der dem Kirchenrecht folgen soll, oder auf Seiten des Normgebers, des kirchlichen Lehramtes. Schliesslich wird das Kirchenrecht, das mit Vernunft und göttlichem Recht übereinstimmen soll, auch nur von Menschen gesetzt, die fehlbar sind. Das zeigt die Kirchengeschichte, die viele Beispiele für Irrtümer des Lehramtes kennt. Die Bibel drückt dies so aus: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apostelgeschichte 5, 29).

Im Ergebnis kann es also sehr wohl statthaft oder sogar geboten sein, gegen kirchenrechtliche Verbote zu verstossen. Aber das Gewissen ist kein Freifahrtschein für eine beliebige Normverweigerung. Vielmehr wird nicht nur die im Katechismus erwähnte Gewissensbildung vorausgesetzt, sondern auch eine gründliche Gewissensprüfung, bevor ich mich dem Kirchenrecht aus Gewissensgründen verweigere.

Auf eine solche Gewissensprüfung hat sich Luther berufen, als er den Widerruf seiner Lehre verweigerte (oft zitiert als „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.“). Ähnlich hat sich Anfang 2021 Kardinal Woelki in Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal geäussert: „Ich habe mein Gewissen geprüft, und ich bin persönlich der Überzeugung, dass ich mich korrekt verhalten habe“.

2. Anhand welcher Kriterien kann ich ermitteln, ob ich Kirchenrecht aus Gewissensgründen missachten darf?

Ganz allgemein gehört zur Gewissensprüfung, bei der Entscheidung nicht nur auf sich selbst zu schauen, sondern vernunftgeleitet die objektive Perspektive der Mitmenschen und der Gemeinschaft einzunehmen. Aber was bedeutet das konkret? Die älteste eingehende Auseinandersetzung mit dieser Frage stammt von Platon und ist selbst nach über 2400 Jahren noch moralphilosophisch bedeutsam.

Platon lässt in seinem Dialog „Kriton“ den verurteilten Philosophen Sokrates darüber diskutieren, ob er aus der Haft fliehen oder das Todesurteil annehmen soll. Sokrates trifft seine Entscheidung, den Gesetzen zu folgen und in den Tod zu gehen, anhand dreier Kriterien. Erstens fragt er, ob sein Normverstoss nachteilige Folgen für die Gemeinschaft hätte, z.B. deren Zerrüttung oder Niedergang. Zweitens könnte seine Unbotmässigkeit gegen eine freiwilllig eingegangene Verpflichtung verstossen. Und Drittens könnte es unfair gegenüber der Gemeinschaft sein, das Gesetz zu brechen, weil man quasi als Trittbrettfahrer nur das persönlich Vorteilhafte mitnehmen möchte.

Bei Verstössen gegen das Kirchenrecht dürfte das dritte Kriterium grundsätzlich nicht einschlägig sein. Zwar wird beispielsweise beim Ringen um die Gleichstellung der Frauen diesen oft persönliches Machtstreben vorgeworfen. Aber dies greift zu kurz und scheint eine männliche Projektion zu sein: Denn den Frauen geht es um generelle Gerechtigkeit, nicht um persönliche Macht oder andere Vorteile.

Interessanter ist die Argumentation hinsichtlich des zweiten Kriteriums. Da die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche freiwillig ist, habe man ihren Regeln und damit auch dem Kirchenrecht zugestimmt, könnte man argumentieren. Andernfalls könne man ja gehen. „Werde doch evangelisch“, wird man belehrt. Doch so einfach ist es nicht. Ein Land, dessen Gesetze man verwirft, kann man verlassen. Aber seinen Glauben? Ist die Mitgliedschaft in der Kirche so verfüg- und wechselbar wie der Wohnort oder eine Vereinsmitgliedschaft? Nein, der Glaube ist persönlich unverfügbar und legt damit die daraus resultierende Glaubensgemeinschaft fest. Für viele gibt es keine alternative Gemeinschaft für ihren persönlichen Glauben. Das machen auch diejenigen Katholiken deutlich, die austreten und sagen: Ich bleibe katholisch, auch ohne diese Kirche.

Beim ersten Kriterium geht es um die schlechten Folgen für die Kirche durch eine mögliche Gesetzesmissachtung, z.B. der mögliche Verfall der kirchlichen Ordnung infolge des Ungehorsams. Dies ist ein ernster Einwand. Betrachten wir die Situation der katholischen Kirche in Deutschland. Zumindest hier leben wir in einer Zeit massenhafter Kirchenaustritte, die Folge nicht akzeptierter kirchenrechtlicher Normen sind. Das führt zu der Frage, ob nicht das Kirchenrecht selbst zur Zerrüttung der Kirche führt. Dann wären Zuwiderhandlungen eher positiv zu sehen: Sie würden das System stabilisieren, indem sie Austritte verminderten und zugleich den innersystemischen Anstoss gäben, das Kirchenrecht zu überdenken und zu korrigieren. Dann wären Zuwiderhandlungen nicht als schädlich, sondern als nützlich für die Kirche zu bewerten, weil sie die kirchliche Zerrüttung, den kirchlichen Zerfall minderten. Aber könnte dadurch nicht ein Spaltungsrisiko entstehen? Dagegen spricht, dass das Spaltungsrisiko bereits in der Ablehnung des Kirchenrechts als ungerecht angelegt ist. Der Ungehorsam wäre dann nur der besonders augenfällige Ausdruck für das bereits vorhandene Spaltungspotential und würde selbst nicht weiter zur Zerrüttung der Kirche beitragen.

Summa summarum: Ja, Ungehorsam kann eine Christenpflicht sein. Aber er erfordert möglicherweise Mut, da er mit negativen persönlichen Konsequenzen verbunden sein kann. Das ist der Preis der Gewissensfreiheit.

Nachtrag: Auch Papst Franziskus sieht das so – in den Vaticannews vom 10.11.2022.

Die Kirche habe keine „Vollmacht“, homosexuelle Paare zu segnen, hat die vatikanische Glaubenskongregation am 15.3.2021 verkündet. Diese Entscheidung sei auch von Papst Franziskus „gutgeheißen“ worden.

Wer die vatikanischen Weigerungen kennt, die Zeichen der Zeit zu (be)achten, wird sich erinnern: Schon bei der Absage an die Frauenweihe wurde diese Formulierung gebraucht, 1994 von Papst Johannes Paul II. in Ordinatio sacerdotalis. Tenor: Es ist uns nicht möglich, darüber zu befinden. Dazu sind wir nicht befugt.

Was natürlich Unsinn ist. Warum? Es ist eine Leerformal, ohne Inhalt. Denn diese normative Aussage ist selbstreferentiell. Wer die Befugnis besitzt, sich selbst eine Befugnis abzusprechen, besitzt natürlich auch die Befugnis, sich eine Befugnis zuzuschreiben. Das kann man jederzeit tun. Die Bedeutung dieser Aussage ist daher schlicht: Ich will nicht.

Petersdom mit Regenbogenfahnen

Was bleibt? Eine vordergründig starke Geste. Leider scheint das ein Muster zu sein. Wenn die Argumente fehlen, wenn die theologische Position ohne Überzeugungskraft ist, versteckt sich die Kirche hinter ihrer selbstdefinierten Unzuständigkeit. Selbst wenn sie wollen würde, könnte sie ja nicht.

Blockade-Politik des Vatikan

Dies ist nicht nur eine subtile Form einer autoritären Basta-Theologie. Es ist zugleich auch eine Flucht in die Sprachlosigkeit. Sie wirkt hilflos gegenüber einer Wirklichkeit, der man nicht mehr gewachsen zu sein scheint. Der Vatikan steht gegenüber der Realität mit leeren Händen da, weltfremd und ohne positive Botschaft. Er sendet mit seinen Worten unbewusste Zeichen der Kapitulation vor Diskussionen und Reformen.  

Vermutlich glaubt der Vatikan, auf diese Weise die Diskussionen beenden zu können. Aber er erreicht das Gegenteil. Zum einen weil derjenige, der das Gespräch verweigert, nicht verbindet, sondern spaltet. Dies bildet immer einen Ansporn für Gegner. Zum andern weil seine Gegner die vatikanische Sprach- und Hilfslosigkeit spüren und daher die Chance sehen, mit ihrem Anliegen Erfolg zu haben.

Dies ist die gute Botschaft. Eine Kirche, die nichts Besseres weiss, als Argumente durch Autorität zu ersetzen, wird den Widerstand erst recht anfachen. Denn er richtet sich gegen eine spürbare Schwäche und scheint daher erfolgversprechend zu sein.

Widerstand der Bischöfe

Genau dies tritt nun ein: Eine umfassende Welle der Solidarität mit den Homosexuellen baut sich auf, die vom Vatikan nicht mehr aufzuhalten sein wird. Deutsche Bischöfe kritisieren das Verbot der Segnung homosexueller Partnerschaften (Bischof Dieser) oder fordern eine Neubewertung der Homosexualität (Bischof Overbeck). Bischöfe anderer Länder werden sich anschliessen, die belgische Bischofskonferenz hat am 19.3.2021 den Anfang gemacht.

Die Bischöfe können sich dabei auf ihr Gewissen berufen. Um mit den Worten von Kardinal Woelki zu sprechen: „Ich habe mein Gewissen geprüft, und ich bin persönlich der Überzeugung, dass ich mich korrekt verhalten habe“. Natürlich können sich auch alle Priester auf ihr Gewissen berufen, die weiterhin homosexuelle Paare segnen. Sie dürften dabei mit der Billigung vieler Bischöfe rechnen können.

Was die Traditionalisten angeht, die den Menschen als Gottes Schöpfung und Ebenbild immer noch nicht verstehen, können wir eine Fürbitte in die Kirchen tragen:

Gott hat den Menschen die Liebe geschenkt. Die Liebe zwischen Mann und Frau, die Liebe zwischen Frau und Frau und die Liebe zwischen Mann und Mann. Herr, wir bitten für diejenigen, die daran zweifeln. Möge der heilige Geist sie erleuchten.